Verlag Henselowsky Boschmann · Manfred Hoese · Braunes Hemd und leerer Magen
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Manfred Hoese
Braunes Hemd und leerer Magen
Roman über eine Jugend in der Nazi-Zeit
264 Seiten, 2. Auflage
gebunden, mit Schutzumschlag
14,90 €
ISBN 978-3-922750-50-5


Von der Machtergreifung der Braunen bis zu den Hamsterfahrten der Nachkriegszeit. Vom Volkseintopf bis zu den Steckrüben. Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet in einem Roman, der Geschichte lebendig macht.

Er wächst auf in einem Arbeiterviertel, wohnt in der "Kommunistenstraße". Sein Vater geht auf Zeche und schimpft zu Hause auf den "scheiß Adolf". Doch als der braune Vorhang sich auch über ihn herabsenkt, marschiert er stramm in der Hitlerjugend mit, geht auf ein Nazi-Internat und erlebt trotz des harten Drills die zarte Liebe zu Gisela, dem Mädchen aus dem Kohlenpott.


Er ist fünf Jahre alt, als die Nationalsozialisten im Januar 1933 endgültig zur "Machtergreifung" schreiten. Auch in Rotthausen, einer der kommunistischen Hochburgen im Ruhrgebiet und dem Heimatort seiner Familie.Rund zwölf Jahre später sind die ehemaligen Nazi-Kader, die auch aus Rotthausen einen Ort des Schreckens machten, wieder verschwunden. Während manch einer von denen jetzt unter neuer Flagge segelt, holt er endlich das Abitur nach, spielt erfolgreich in einer Jazz-Combo. Dazwischen liegen eine behütete Kindheit und eine Jugend voller Abenteuer, in die uns der Ich-Erzähler immer wieder zu entführen versteht. Die Leser werden zu unmittelbaren Zeugen jüngerer Zeitgeschichte: der Alltag eines Arbeitervorortes mitten im Revier, die kleinen Kämpfe in den Familien und die großen auf der Straße, Schule, NS-Internat und Kriegseinsatz, Hunger, Hamsterfahrten und wieder Hoffnung. Über allem schwebt jedoch die erste große Liebe zu Gisela, die es aus dem Kohlenpott ins ach so ferne Koblenz verschlagen hat.

Manfred Hoese Manfred Hoese
Geboren 1928 in Gelsenkirchen-Rotthausen; acht Jahre Volksschule, als Dreizehnjähriger dann Schüler eines NS-Internats; ab 1944 mit 16 Jahren dienstverpflichtet an der Westfront; erlebt das Kriegsende im Ruhrgebiet.Nach erneutem Schulbesuch in Gelsenkirchen und Studium vierzig Jahre Lehrer; langjähriger Schulleiter in Altenessen. Manfred Hoese starb am 22. September 2019

Das Kriegsende im Ruhrgebiet. Die Achternbergstraße kapituliert
Der Ruhrkessel hatte auch einen Oberbefehlshaber. Einen richtigen Generalfeldmarschall wie 1943 in Stalingrad. Er hieß Model, einer von Hitlers Durchhaltegenerälen. Jetzt sollte er die »Festung Ruhrgebiet« bis zum letzten Stein verteidigen. Die Sprengung der Zechen und der Brücken war an vielen Stellen schon vorbereitet.
Irgendwann muss dem Model eingefallen sein, dass Hitlers Befehl der verbrannten Erde nicht zu verantworten war. Doch was ein richtiger Feldherr ist, der ergibt sich nicht so einfach. Aber musste er sich gleich erschießen wie Adolf?
Damit wir uns nicht allzu sicher fühlten, schickte der Ami jetzt ab und zu ein paar Granaten über den Kanal bis weit nach Gelsenkirchen hinein. Sehr unregelmäßig. Aber Tag und Nacht. »Hinterlandbeschuss« hieß das.
Wir begriffen schnell, was sich geändert hatte. Bei den Luftangriffen, die jetzt hinter uns lagen, war die Gefahr rechtzeitig angekündigt worden. Zuerst vom so genannten Drahtfunk. Da lief so ein Dauergeräusch im Radio wie von einem trabenden Pferd. Nur wenn der Gaul mal eine Pause machte, spitzten wir schnell die Ohren für die Durchsage. »Bomberverbände bei Eindhoven im Anflug aufs Ruhrgebiet!«, hieß es meistens. Also hatten wir noch zwanzig Minuten Zeit. Die »Fliegenden Festungen« der Amerikaner flogen langsam. Kurz danach erfolgte das Geheul der Sirenenwarnung.
Mein Klassenkamerad Helmut wohnte direkt unter der Sirene für Rotthausen-Süd. Im Sommer 39 war er noch mächtig stolz darauf gewesen, eine richtige Sirene auf dem Dach zu haben. Aber bald fiel er bei deren Geheul jedes Mal vor Schreck fast aus dem Bett. Und das zwei-, dreimal pro Nacht. Das macht in sechs Kriegsjahren eine ganze Menge!
Jetzt hatte die Sirene ausgedient. Auch der Drahtfunk war still. Das Pferd trabte nicht mehr. Dafür verpassten sie uns den Artilleriebeschuss ohne Voranmeldung, und so kamen wir aus dem Keller überhaupt nicht mehr heraus.
Als ich mich einmal kurz in unsere Wohnung wagte, schlug prompt eine Granate unten auf dem Gehweg ein. Es gab ein Loch in der Hausfassade. Doch die Außenwand war solide gemauert. Für mich dick genug. Ich hatte beim Einschlag direkt dahinter gelegen. Wieder mal Schwein gehabt!
Welche strategische Bedeutung solche Feuerüberfälle hatten – keine Ahnung. Vermutlich wollte uns der Ami nur zeigen, dass er schon am Kanal stand und bald rüberkommen würde.

Und dann war es plötzlich soweit.
Im Keller, wo die ganze Hausgemeinschaft seit Wochen ziemlich beengt, aber friedlich beieinander hockte, tauchten die tollsten Gerüchte auf. »Wenn bloß die Russen nicht hierher kommen!«, meinte Frau Brosda. »Die schicken uns alle nach Sibirien. Amerikaner sind wenigstens ein zivilisiertes Volk. Die tun uns schon nix!«
Aber alle horchten auf, als Frau Sawatzki aufgeregt meldete: »Unten an der Ecke bei Biedenbach steht ein Panzer, hoffentlich fangen die jetzt nicht an zu schießen!«
Ich rannte nach oben, riskierte einen Blick aus der Haustür: Tatsächlich. Aber dieser Panzer trug einen weißen Stern. Und noch etwas war anders als sonst. Es war so still. Da fehlte irgendwas. Es war die Artillerie, die nicht mehr schoss.
Ich stürmte in den Keller zurück und rief: »Der Ami! Der Ami ist da!«
Ein paar Mutige gingen mit nach oben. Dort erlebten wir eine Überraschung: In unserer Straße hingen einige weiße Fahnen, und es wurden von Minute zu Minute mehr. Ein Meer von Fahnen. Nicht mal an Hitlers Geburtstag hatte es hier so viele gegeben. Wenn auch in anderer Farbe.
Kein Ami konnte das übersehen: Die Achternbergstraße hatte kapituliert.
Vorrichtungen für die Fahnenstangen gab es ja genug. Viele Häuser hatten noch die Halterungen für eine Hakenkreuzfahne. So brauchte nur das Tuch gewechselt zu werden. Auch bei uns. Unser Hauswirt, war ja »inne Pattei« gewesen und in unserem Haus der Einzige, der bei den Nazi-Gedenktagen brav seine Hakenkreuzfahne herausgehängt hatte. Der Karl holte also auch jetzt seine Fahne heraus. Weiß war sie, also farblich unverdächtig.
Auch die »Pfannkuchen« ließ sich nicht lumpen, spendierte ein Bettlaken von ihrer großartigen Aussteuer, und schon konnte sich auch unser Haus ergeben. Wenn ganz Rotthausen kapitulierte, wollten wir nicht fehlen.
Der Goebbels im fernen Berlin mochte all jenen die Todesstrafe androhen, die es wagten, einen »weißen Fetzen« herauszuhängen. Für uns war der Krieg vorbei.
Ohne Endsieg.