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Friedhelm
Wessel
Die letzte Sau der Kolonie
Geschichten
zwischen Förderturm und Taubenschlag
64 Seiten · viele Fotos · 9,90 €
ISBN 978-3-942094-08-5
Wenn Wasserdampf durch die Hinterhöfe waberte, Kinder mit großen Augen
vorsichtig um die Hausecken schielten und Männer, die lange Schürzen
trugen, lächelnd Messer wetzten, dann ging es Jolante und Co. an den
Kragen - in den Kolonien des Reviers fanden einst fast zeitgleich
Schlachtfeste statt. Alle packten mit an, denn nachdem das Fleisch
verarbeitet war, lockte meist ein feuchtfröhlicher Umtrunk. Dieses Buch
soll an Zeiten erinnern, als sich Kumpels nach der Schicht noch zum
Lohntütenball trafen, Duwenväter auf den nahen Bergehalden nach ihren
gefiederten Lieblingen Ausschau hielten und in den Kolonien der Nachbar
oft auch Arbeitskollege war.
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Weitere Bücher von Friedhelm Wessel:
⇒ Unsere allerschönste Ecke: Die Halde anne Köttelbecke
⇒ Machet gut, Schwatte – Geschichten zum Abschied von unserer Kohle (Herausgeber)
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Negerdorf,
Hühnerleiter, D-Zug oder auch schon mal Gartenstadt – Namen von
Siedlungen, die ab 1850 im aufstrebenden Ruhrgebiet zwischen
Kamp-Lintfort und Bergkamen entstanden. Die damaligen Großindustriellen
ließen für die neu angeworbenen Arbeiter im Schatten der Pütts und
Hochöfen mal spartanische, mal großzügige Wohnungen bauen. Und die
hatten bald ihren Namen weg: Kolonien. Und die „coloni“, „die Fremden,
die sich in unbekannten Orten niederlassen“, in diesem Falle in Dörfern
und Städten des Ruhrgebiets, bauten - wie echte Kolonisten es tun - in
ihren Hausgärten nicht nur Gemüse und Obst an, sondern züchteten auch
Hühner, Enten, Gänse und Tauben, mästeten Ziegen und Schweine. Urzelle
der Revierkolonien ist die Siedlung Eisenheim, ab 1846 in
Oberhausen-Osterfeld errichtet; bis 1930 entstanden Siedlungen wie die
an der Lünener Ziethenstraßen, die Kolonie Mausegatt/Kreftenscheer in
Mülheim, die Dreieckssiedlung in Recklinghausen-Hochlarmark, die
Glückauf-Siedlung in Bochum-Hamme, die Kappes-Siedlung in
Bochum-Dahlhausen, die Rheinbaben-Siedlung in Bottrop-Batenbrock, die
Siedlung Schwerin in Castrop-Rauxel und die Schüngelberg-Siedlung in
Gelsenkirchen-Buer.
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Friedhelm Wessel
Jahrgang 1944; er verbrachte seine Kindheit und Jugend zwischen der
Jacobi-Siedlung in Oberhausen – wo Oma ihr klein Häuschen und Opas
geliebter Karnickelstall standen – und dem Dichterviertel in Herne – wo
alle Straßen nach großen deutschen Schriftstellern benannt sind. Als
„Köttel“ erkundete er zusammen mit seinen Freunden die Halden des
Reviers und spielte verbotenerweise auch schon mal an einem der vielen
kleinen Abwasserbäche im Tal der Emscher. Seine Bücher beschäftigen
sich in Text und Bild mit den ganz besonderen Seiten seines Reviers,
wie „Denn sie tragen das Leder vor dem Arsch“, „Lüdenscheid-Nord gegen Herne-West. Das
Revierderby“, „Machet gut,
Schwatte“ und „Jede Menge Kino.
Film-Geschichte(n) aus dem Ruhrgebiet“. |
Es gab immer etwas zu tun
Bergmannsfrauen waren nicht zu beneiden. Ihr Leben wurde diktiert vom
Rhythmus der Zechen, der Schichten ihrer Männer. Meine Großmutter, die
bereits 1920 einen Bergmann heiratete, der aber zwei Jahre später auf
dem Pütt tödlich verunglückte, danach wieder einen Kumpel ehelichte,
habe ich eigentlich nie ruhen sehen. Für sie gab es immer etwas im
Haushalt, im kleinen Hausgarten oder im Stall zu tun. Nur manchmal, im
Winter, wenn es draußen so richtig kalt war, saß sie neben dem
Küppersbusch-Herd, der den Mittelpunkt des Siedlungshauses bildete, vor
der geöffneten Ofenklappe und genoss den Tanz der Flammen. Aber meist,
dann war das elektrische Licht eingeschaltet, stopfte sie die Socken
ihres Mannes oder flickte nach der Wäsche das derbe Grubenzeug.
Wer heute durch alte Bergbausiedlungen geht, wird feststellen, dass die
Ställe und Nutzgärten beinahe verschwunden sind; dafür gibt es Garagen
und davor gelbe, graue und blaue Mülltonnen. In der Hochzeit der
Kolonien kam jede Familie mit nur einem grauen Metallgefäß aus, der
Aschentonne, denn fast alles wurde in den Haushalten wiederverwertet.
Dazu gehörte auch das Zeitungspapier. Täglich wurde der überwiegende
Teil der Lektüre zusammen mit den Mutterklötzchen für das Anmachen des
Feuers benötigt. Ein weiterer Teil der Tageszeitung wurde sorgsam
gesammelt und dann in einer stillen Stunde von meiner Großmutter
weiterverarbeitet. Sie zerschnitt die Bögen in etwa 15 mal 20
Zentimeter lange Stücke und fädelte sie mit einer groben Nadel auf.
Danach hing das Gedruckte an einem Haken im Plumpsklo. Ob daher wohl
der Ausdruck stammt: »Mit dieser Zeitung kannst du dir den Hintern
abwischen?«
Selbst Kartoffelschalen und Gemüsereste wurden damals sorgsam gesammelt
und wiederverwertetet, sie dienten als Zusatzfutter für die Tiere. Wenn
mein Großvater von der Schicht auf der nahen Zeche nach Hause kam,
widmete er sich der Aufzucht seiner Kaninchen, seiner Hühner oder war
in einem seiner zwei Gärten aktiv, denn auch für ihn wartete nach der
harten Maloche auf dem Pütt daheim noch viel Arbeit, die half, die
große Familie kostensparend über die Runden zu bringen. |
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